Werkzeuge, die Geschichte greifbar machen
Passionierte Handwerker entwickeln eine innige Beziehung zu ihren Werkzeugen, weil sie wissen, dass diese einen großen Einfluss auf die Güte ihrer Arbeit haben. Im traditionellen Polsterhandwerk kommen viele Spezialwerkzeuge zum Einsatz, die man heute gar nicht mehr regulär kaufen kann. Ich selbst besitze noch den alten Geißfuß und den Abschlaghammer aus meiner Ausbildungszeit und hüte beide wie meine Augäpfel.
Da sich die Polstermethoden in Deutschland, Frankreich und England unterscheiden, werden in diesen Ländern auch unterschiedliche Werkzeuge genutzt. In der Zusammenarbeit mit meinem englischen Mentor Stephen Franklin, der zu Großbritanniens führenden Polsterern zählt, durfte ich ländertypische Technikstile kennenlernen und bekam als kollegiale Anerkennung einige passende Werkzeugstücke aus seiner Hand geschenkt. Welch eine Ehre! – Und eine spannende Möglichkeit für mich, in meiner Wiesbadener Polstermanufaktur sehr variabel und individuell zu arbeiten.
Materialien, die Natur spürbar machen
Bei der traditionellen Polstermethode werden ausschließlich Naturmaterialien wie Palmfaser, Jute, Kokos, Rosshaar und Schafwolle verwendet. Hierbei gibt es qualitativ erhebliche Unterschiede. So wird z. B. beim Rosshaar gerne mal günstigeres Schweinshaar beigemischt. Auch bei den Feder- und Fassonleinen oder den Schnürfäden gibt es sicht- und spürbare Qualitätsunterschiede, deren Vorteile ich meinen Kund*innen gerne „begreifbar“ mache. Für meine Arbeit beziehe ich die besten Naturmaterialien, die ich kenne – zum Teil aus Frankreich und England.
Bei ihrer Verarbeitung ist ein besonderes Gespür erforderlich, das man – ähnlich wie ein Bildhauer – erst über jahrelanges Üben beherrscht und zunehmend verfeinert. Unter geübten Händen verbinden sich diese wunderbaren Materialien dann Schicht für Schicht zu einem strapazierfähigen, formstabilen und komfortablen Polster, das seinem Be-Sitzer natürlich und nachhaltig Freude beschert.
Handgriffe, die perfekt sitzen wollen
Die traditionelle Polsterung unterteilt sich prinzipiell in die Arbeitsschritte der Gurtung und Federung, Aufbau der Polsterung sowie Wattierung und Bezug. Kraft, Feingefühl und jede Menge Geduld gehören zu den wichtigsten Eigenschaften, die das jahrhundertalte Handwerk in jeder dieser Phasen fordert.
Gurtung
Die Basis des Polsters bildet ein stabiles Geflecht aus Gurten, die über Kreuz gespannt und mit Nägeln im Holzrahmen fixiert werden.
Federung
Auf dem Gurtgeflecht werden die Metallfedern positioniert und festgenäht.
Mithilfe eines ausgeklügelten Systems und speziellem Faden wird ein Knotennetz geschnürt, das die Federn auf Spannung hält, so dass der Sitz im gewünschten Maße nachgibt und seine gewünschte Wölbung erhält. (Um unzählige Nadelstiche und Knoten zu sparen, werden diese zeitintensiven Arbeitsschritte heute oft durch den Einsatz von Schaumstoff ersetzt. Die bewährte Sitzqualität und Langlebigkeit traditioneller Polster ersetzen das allerdings nicht.)
Damit kein Obermaterial in den Federverbund fällt, wird er mit Federleinen überzogen. Dieser wird mithilfe einer Rundnadel an den Federn befestigt.
Polsteraufbau
Das Formpolster, auch Fasson genannt, entsteht zunächst aus einer Schicht Afrik (Palmfaser), die mit Fassonleinen bedeckt und umnäht wird.
Bei der Garnierung werden die Polsterkanten mithilfe spezieller Sticharten (Vorder-, Hinter-, Leiter-, Kantenstich) ausgeformt und gefestigt.
Über die sogenannte Pikierung entsteht die zweite Polsterschicht aus Rosshaar, das für den unübertrefflichen Sitzkomfort einer traditionellen Polsterung sorgt.
Nun wird das Polster mit Nessel bezogen – auch Calico oder Weißpolster genannt. Und damit kein Rosshaar durch die obersten Schichten piekst und ein angenehmes Sitzgefühl entsteht, wird eine Lage weiche Watte oder Schurwolle ergänzt.
Polsterbezug
Den krönenden Abschluss bildet ein ausgewählter Designerstoff, der sorgsam von Hand vernäht wird. Je nach Wunsch und Möbelstil werden ergänzend Posamente wie Gimpe, Keder, Kordeln oder Bordüren angebracht.
Polstern im aktuellen Zeitgeist
Wenn es traditionelles Polstern gibt, was bedeutet dann modernes Polstern? Der wesentliche Unterschied liegt im Polsteraufbau. Die klassische Methode des handwerklichen Aufbaus mit handgeschnürten Einzelfedern und losen Naturfüllstoffen wie Kokosfaser und Rosshaar wurde zur Zeit der Industrialisierung zunehmend durch effizientere Fertigungsprozesse mit Kunststoffen ersetzt.
Ein modernes Polster besteht aus vorgefertigten Federelementen (z. B. Federkernen) und industriellen Schaumstoffen oder Polsterwatte. Einhergehend mit neuen Materialien veränderten sich auch die Werkzeuge. So wird bei der modernen Polsterei ein druckluftbetriebener Tacker zur Befestigung der Materialien an das Holzgestell verwendet.
In meinen Beratungsgesprächen werde ich oftmals gefragt, welche Form der Polsterung ich empfehle. Ohne Frage erfordern beide Polsterstile handwerkliche Fähigkeiten. Die moderne Methode arbeitet jedoch mit vorgefertigten Komponenten und vereinfachten Techniken. Sie ist somit kurzfristig betrachtet wesentlich wirtschaftlicher. Dagegen punktet ein traditionelles Polster mit langer Haltbarkeit und einem außergewöhnlichen Sitzkomfort, der einzig über die verwendeten Polsterfedern und das Rosshaar entstehen kann.
Letztlich gilt: In ein antikes Sitzmöbel gehört ein epochengerechtes, traditionelles Polster und in ein modernes Möbelstück ein modernes Polster. Ein kundiger Polsterer würde bei der Restaurierung eines antiken Unikats niemals Schaumstoff verwenden. Hier greift man entschieden zu Polsterhammer und Polsternägeln – nicht zuletzt auch, um seinen Wert zu erhalten und zu steigern. Denn bei der Begutachtung antiker Sitzmöbel sind genau solche Aspekte wesentliche Wert- und Qualitätsmerkmale. Wurde bei der letzten Aufarbeitung getackert statt traditionell genagelt, bedeutet dies einen enormen Wertverlust.
Möbeln aus den 50er und 60er Jahren oder Küchenstühle mit Flachpolstern hingegen polstert man in der Regel mit Schaumstoff. Ebenso Sitzkissen, Bankauflagen oder Polster für Daybeds.
Bei sogenannten Stil-Möbeln (also Stil-Kopien vergangener Epochen) kann man die Vorteile der Polstermethoden abwägen und individuell nach Wert des Sitzmöbels und persönlicher Vorliebe entscheiden.
Weshalb auch immer Sie sich für die Inanspruchnahme der Polsterkunst entscheiden, Sie tun es, weil Sie einen Sinn für besondere Werte haben.
Welche Werte sind es bei Ihnen?